Mode upcyceln, leihen oder tauschen: Interessante Labels im Porträt

Spezial Vegetarisch / Vegan | | Kategorie: Kosmetik und Mode | 11.04.2018

Mode upcyceln, leihen oder tauschen: Interessante Labels im Porträt
Foto: DenysKarlinskyy

Kleidung kaufen, tragen, wegschmeißen? Klamotten, die in Billiglohnländern unter beklagenswerten Zuständen genäht werden? Kreative Modemenschen zeigen Auswege aus dem Dilemma – wir stellen neun besonders interessante Beispiele vor.

Massenmode für den Massengeschmack – das können viele. Doch immer mehr Kreative wollen aus dem sich rasant drehenden Modekarussell mit seinem Ex-und-hopp-Design aussteigen. Sie suchen einen anderen Zugang zur Mode. Tüfteln an Konzepten, wie man das System der Kreislaufwirtschaft auf Bekleidung anwenden kann, denn die Herstellung neuer Fasern verbraucht viel zu viele Ressourcen. Zerbrechen sich den Kopf darüber, wie man Kleidung so gestalten kann, dass sie recycelbar ist oder wenigstens kompostiert werden kann.

Andere Modemacher sammeln Stoffüberschüsse und Altkleider, um daraus etwas Neues zu schaffen – schließlich wurden all diese Materialien unter hohem Ressourceneinsatz produziert. Upcycling nennt sich die Masche, aus Resten und Altem etwas hochwertiges Neues zu schaffen. Aus Alt mach Schick, das ist inzwischen ein weltweiter Trend.

Manche Kreative spezialisieren sich auf wertige Mode, die man viele Jahre anziehen kann, entwickeln Unisexkleidung, die sich Paare teilen können, oder wandelbare Kleidungsstücke, die man immer wieder anders tragen kann: mal Rock, mal Top, mal Schal. Wieder andere experimentieren mit Tausch-, Leih- und Leasingkonzepten. Denn wenn man Autos leihen und Musik streamen kann, warum soll man dann nicht auch seine Klamotten nur vorübergehend besitzen und dann an den Nächsten weitergeben?

9 Anbieter, die Mode upcyceln, leihen oder tauschen

Modemacher, die so denken, sind keine Exoten und Spinner, sondern die neuen Trendsetter. Wir stellen neun Konzepte und Modemacher vor, die diesen Leitlinien folgen.

Atelier Redesign Hamburg

Auch Christina Schelhorn hat sich dem Upcycling verschrieben. Wenn sie Altkleider sieht, dann nimmt sie vor allem Stoffe, Muster, Texturen und Farben wahr. Im Kopf der Gründerin des Ateliers Redesign Hamburg entstehen dann schon die neuen Kreationen aus den aussortierten Textilien; da wird das Herrensakko zu Wickelrock und Handytasche, das T-Shirt zum sexy Top, die Armeedecke zum Herrenpullover. Schelhorn kauft vom Recyclinghof Altkleider, Tischdecken, Gardinen und Bettwäsche zum Kilopreis von neun Euro auf oder arbeitet mit privaten Kleiderspenden. Im Atelier werden die Fundstücke nach der Reinigung ausgebreitet, begutachtet, und es wird überlegt, was man daraus machen kann. Dann wird die Schere angesetzt. Frei aus dem Kopf heraus, ohne Schnittmuster, entstehen individuelle Stücke. "Das ist die nachhaltigste Art, Kleidung herzustellen", sagt die Designerin, die früher für Modehäuser gearbeitet hat.

Schelhorn gibt auch Fashionrecycling-Workshops. Unter Anleitung der Designerin können auch Anfängerinnen ein einfaches Stück nähen. Das kann ein Tellerrock aus einer runden Tischdecke sein oder eine Kindermütze aus Ärmeln. Das Selbstherstellen macht nicht nur glücklich, sondern auch nachdenklich. Wer sich ein T-Shirt für vier Euro kaufe, mache sich meist keine Gedanken über den Preis, sagt die Redesignerin. "Wenn ich aber drei Stunden an einem einfachen Stück arbeite, frage ich mich schon, warum das so billig ist." Noch eines lehren die Kurse: den Mut, etwas auszuprobieren. Denn bei Redesign näht man "sehr unorthodox" und unbekümmert. Bei Klamotten aus Altkleidern darf auch mal etwas schiefgehen. redesign-hamburg.de

Bridge & Tunnel

Verschlissene Jeans einfach wegzuwerfen, finden die Hamburgerinnen Hanna Charlotte Erhorn und Constanze Klotz unmoralisch – schließlich sind Denimstoffe robust und zeitlos. Sie kaufen der Kleiderkammer Wilhelmsburg Denimkleidung, die keiner mehr haben will, zum Kilopreis ab und machen daraus jeansblaue Unikate: Taschen, Rucksäcke, Teppiche, Yogakissen. Vermarktet werden die Upcyclingprodukte unter dem Namen Bridge & Tunnel. Nähen lassen Erhorn und Klotz von gesellschaftlich benachteiligten Männern und Frauen in Wilhelmsburg; darunter sind viele Geflüchtete, die zwar Erfahrung an der Nähmaschine haben, aber keine Zeugnisse. Bridge & Tunnel zahlt Tariflohn. Die Preisgestaltung der Produkte wird auf der Website des Unternehmens transparent gemacht. bridgeandtunnel.de

Chic by Choice

Wer nur mal ein schickes Outfit für einen Abend braucht, kann beispielsweise beim Onlineportal Chic by Choice Ball-, Abend- oder Cocktailkleider für vier oder acht Tage mieten. Das ist nicht nur eine preiswerte, sondern auch eine nachhaltige Alternative; schließlich haben Kleider für festliche Gelegenheiten die Eigenschaft, selten getragen zu werden und dann im Schrank abzuhängen. Eine lange Robe der Designerin Diane von Furstenberg kann man z.B. vier Tage lang für 114 Euro nutzen, dazu kommen 9,90 Euro Versandkosten. Würde man das Kleid kaufen, wären 910 Euro fällig. Damit das Traumkleid auf Zeit wirklich passt, bekommt man zwei Größen zugeschickt, muss aber nur für ein Kleid die Miete zahlen. Bei Nichtgefallen kann man das Leihkleid umtauschen oder bekommt sein Geld zurück. chic-by-choice.com

Kleiderei

"Stil hast du, Kleider leihst du" – unter diesem Motto betreiben Thekla Wilkening und Pola Fendel nun schon im fünften Jahr ihre Kleiderei in Hamburg. Eine Filiale gibt es inzwischen in Köln. Sie habe sich geärgert, dass man Kleidung kaufen muss, um sich schön zu machen, sagt die Textildesignerin Wilkening. Den Verleihfundus geschaffen haben Wilkening und Fendel zunächst mit eigenen Sachen. Freunde und Bekannte gaben etwas dazu, außerdem stöberten sie auf Flohmärkten. Ständig auf der Suche nach Nachschub, nehmen die Kleiderei-Damen auch gern Spenden an. Die Kooperation mit Jungdesignern beschert dem Verleih immer wieder exklusive und ausgefallene Stücke.

Eine bestimmte Moderichtung verfolgt die Kleiderei nicht. "Wir haben ein Herz für jeden Stil", sagt Wilkening. Von klassisch über extravagant bis hin zu schräg gibt es hier für jeden Geschmack etwas zu leihen. Das geht auch online im Abo. Für mindestens drei Monate muss man sich zur Abnahme eines Monatspakets verpflichten. Pro Monat sind 34 Euro Gebühr fällig – Versand, Verpackung und Reinigung inklusive. Man sucht sich aber die Sachen nicht selbst per Mausklick auf der Website der Kleiderei zusammen, sondern bekommt ein kuratiertes Paket. Das geht so: Man muss sich als Kundin registrieren und einen Fragebogen zu seinen Stilpräferenzen ausfüllen. Aus dem Sortiment der Kleiderei kann man Teile, die besonders gefallen, auf seine "Love List" setzen. Anhand des Fragebogens und der Lieblingsstücke stellen Wilkening und Fendel dann eine individuelle Abokiste in der passenden Kleidergröße zusammen. Vier Teile sind darin. Man behält die Auswahl so lange, bis man Lust auf etwas Neues hat. Wer Sachen zurückschickt, bekommt für jedes zurückgesandte Teil Nachschub, sodass man immer vier Kleiderei-Teile hat. Jede Kundin bekommt aber pro Monat maximal ein Paket.

"Wir bewahren, was bereits produziert ist, schonen Ressourcen und bieten nachhaltigen Kleiderkonsum. Slow and sexy", wirbt die Kleiderei. Das Ziel sei aber nicht, die Kundinnen zu 100 Prozent mit geliehener Mode einzukleiden. Dafür sei das Bedürfnis, etwas Eigenes zu besitzen, zu groß, beobachtet Thekla Wilkening. Das Ausleihen könne aber helfen, den eigenen Stil zu finden – und so Fehlkäufe zu vermeiden. Denn das kennt wohl jede Frau: Einige Sachen im Schrank werden nie getragen, da sie nicht so richtig passen, stimmen oder gefallen. Durch das "Testtragen", so Wilkening, könne man die eigene Stilrichtung finden. kleiderei.com

Milch

Männeranzüge und -hemden haben es Cloed Priscilla Baumgartner angetan. Die Wienerin verwandelt sie unter dem Namen Milch in pfiffige neue Mode für Männer und Frauen. So wird beim Minikleid der Hosenbund zum Schmuck am Saum, der Pullunder behält die Hosentasche als lässige schräge Einschubtasche, und die Schiebermütze aus Herrenhosenstoff ist mit einem "pensionierten" Herrenhemd gefüttert. Das Ausgangsmaterial aus der lokalen Altkleidersammlung wird gewaschen und in Wien zu neuen Modellen vernäht, unter anderem von einem sozialökonomischen Betrieb der Volkshilfe, der langzeitarbeitslosen Frauen beim Wiedereinstieg in den Beruf hilft. milch.tm

Mud Jeans

Bert van Son verfolgt direkt zwei alternative Konzepte. Der Gründer des Labels Mud Jeans überlässt es den Kunden, ob sie die blauen Beinkleider aus zertifizierter GOTS- oder BCI(Better Cotton Initiative)-Baumwolle leasen oder kaufen möchten. Und er nimmt die getragenen Denims zurück, zerlegt sie in Fasern und mischt die gebrauchte mit neuer Baumwolle, um daraus neue Kleidungsstücke wie Pullis, Strickjacken oder wieder Jeanshosen zu machen.

Das Leasingkonzept funktioniert so: Der Kunde zahlt einmalig eine Mitgliedsgebühr von 20 Euro und kann sich drei im Webshop ausgewählte neue Jeans zuschicken lassen. Er hat dann 14 Tage Zeit, sich zu entscheiden, welche Hose er behalten will. Für die Jeans seiner Wahl zahlt er eine Monatsgebühr von 7,50 Euro. Nach einem Jahr entscheidet der Kunde, ob er die Hose als sein Eigentum behalten oder sich ein frisches Paar mieten will. Wer keinen Ersatz möchte, bekommt einen Zehn-Euro-Gutschein. Gut erhaltene getragene Hosen kann man bei Mud unter dem Schlagwort Vintage kaufen. Abgewetzte Jeans werden geschreddert und recycelt.

Die Wiederverwertung wird schon beim Hosenentwurf eingeplant. So nutzt Mud Aufdrucke aus umweltverträglichen Farben statt Lederschildchen. Die Knöpfe können wiederverwertet werden. Recycelte Baumwolle verringert Textilabfälle, nach Angaben von Mud braucht man für die Herstellung recycelter Baumwolle außerdem 40 Prozent weniger Wasser. Das niederländische Jeanslabel hat sich vorgenommen, möglichst umweltgerecht und fair zu produzieren. Die Ziele sind 100-prozentige Wiederverwertung des Produktionswassers und kompletter Chemieverzicht. So bleicht Mud seine Hosen mit dem Laser oder mit Ozon, um ihnen den gefragten Used Look zu verpassen, ohne dass der Stoff gebürstet und mit Kaliumpermanganat behandelt werden muss. Als Mitglied des Young Designer Programme der Fairwear Foundation erstattet das niederländische Unternehmen Bericht über die Bedingungen in seinen Produktionsbetrieben und verpflichtet sich zum Einsatz für faire Arbeitsbedingungen und Löhne. mudjeans.eu

Myonbelle

Den unendlichen Kleiderschrank verspricht auch Myonbelle, ein Onlineversand für Leihmode. Die Gründerinnen Nina Blasberg und Nicole Stein versprechen "all you can wear" für eine Flatrate von 49 Euro im Monat. Wer sich anmeldet und auf der Website seine Lieblingsstücke aussucht, dem schicken die Unternehmerinnen pro Lieferung entweder drei Kleidungsstücke oder zwei Kleidungsstücke und zwei Accessoires zu. Benutzen kann man die Sachen, so lange man möchte. Schickt man die Teile zurück, bekommt man dafür eine neue Kleiderbox. Wer ein Stück behalten will, kann es zu einem stark reduzierten Preis kaufen. Die Monatsgebühr deckt Versand und Reinigung mit ab. Das Abo ist monatlich kündbar. myonbelle.de

Schmidttakahashi

Ist das, was Eugenie Schmidt und Mariko Takahashi machen, Kleidung oder Kunst zum Anziehen? Die beiden Modemacherinnen wollen sich da selbst nicht so festlegen. Die Berlinerinnen sind Pionierinnen des Upcyclings, und ihr mehrfach ausgezeichnetes Konzept ist anspruchsvoll. Schon ihre Abschlusskollektion an der Kunsthochschule Weißensee vor acht Jahren stand im Zeichen recycelter Kleiderspenden. Dem Thema sind sie treu geblieben. Und so wie sie ihren Brand-Namen Schmidttakahashi kombiniert haben, setzen sie in ihrem Atelier aus etwas Bestehendem neue extravagante Stücke zusammen.

Weil ihnen die Geschichten hinter den Kleidern wichtig sind, sammeln die beiden Frauen nicht einfach anonym abgelegte Stücke ein. Wer Aussortiertes bei den Modemacherinnen vorbeibringt oder in einen der "Reanimationscontainer" wirft, die u.a. in Berliner Museumsshops stehen, sollte seine Geschichte zur Spende hinterlassen. Jede Kleiderspende erhält eine ID-Nummer. So kann der ehemalige Besitzer verfolgen, was aus seinem Beitrag wird.

Nach dem Reinigen werden die Altkleider in Handarbeit auseinandergenommen und neu zusammengesetzt. Jedes Teil ist ein Unikat. Über einen QR-Code auf dem Preisschild erhält der Käufer Informationen zu dem Designerstück und zu seinem "Stammbaum". Aufgeführt werden auch "Bruder und Schwester" – Kleider, die aus dem gleichen Secondhandmaterial gefertigt wurden – und "Freunde und Nachbarn": das gleiche Design aus einem anderen Material. schmidttakahashi.de

Tauschrausch: Kleiderkreisel & Kleidertausch

  • Das Angebot kleidertausch.de will konsumkritische Modeliebhaber vernetzen. Das Projekt wird von Greenpeace-Ehrenamtlichen gemanagt. Wer eine Kleidertauschparty plant, kann seinen Termin in den Facebook-Kalender des Projekts einstellen und bekommt außerdem Tipps für die Organisation.
  • Wer sich bei der Secondhand-Plattform kleiderkreisel.de anmeldet, kann nicht mehr gewollte Kleidung an andere Mitglieder verkaufen beziehungsweise verschenken oder auch Sachen tauschen.

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